Franz Politzer
MEINE
GRAFISCHEN ZYKLEN
Grafische Zyklen in Kassetten oder Mappen laden zum Blättern ein, sie
erzählen eine Geschichte wie ein Buch. Die Oberfläche der Grafiken kann
betastet werden, die Eigenarten der Tiefdrucktechnik sind erfühlbar,
kein Glas eines Bilderrahmens verhindert das haptische Erleben. Diese
Ausstattung gibt den Grafiken etwas Kostbares, das dem Inhalt angemessen
ist, den ich den Zyklen zugrunde lege.
Das Arbeiten in Zyklen erlaubt es einerseits, verschiedene Sichtweisen
zu einer Thematik darzustellen, andererseits bietet es die Gelegenheit,
zeitliche oder kausale Zusammenhänge in einer Bildfolge zu verdeutlichen.
Beide Möglichkeiten habe ich in meinen Zyklen genutzt, wobei ich zum
überwiegenden Teil die Technik der Farbradierung bevorzugte. Dabei hatte
ich immer das gesamte Werk vor Augen und ordnete diesem die einzelnen
Teile unter. Bei sämtlichen meiner grafischen Zyklen verwendete ich
gleiche Plattengrößen, manchmal in rhythmischer Reihenfolge von Hoch-
und Querformaten.
Bei
den einen zeitlichen Ablauf dokumentierenden Zyklen strebte ich bei
der Bestimmung der Reihenfolge eine ausgewogene Gesamtkomposition an
und gestaltete die einzelnen Bilder dementsprechend. Der wesentliche
Punkt war dabei die Festlegung der Schritte, die den jeweiligen Ablauf
des Geschehens verdeutlichen sollten; es galt eine Bildgeschichte zu
erzählen, die plausibel und nachvollziehbar ist. Deshalb verwendete
ich in den Bildern auch Kompositionselemente des jeweils vorangehenden
Sujets. So findet sich etwa der Bogen aus der Farbradierung "Die Überflutung"
im darauffolgenden Blatt "Die Mauer der Dunkelheit" in dreifacher Ausführung
wieder, jeweils einen Baum umschließend. Im folgenden Bild "Der letzte
Ausweg" flieht dieser Baum vor einer sichtbar gewordenen unterirdischen
Bedrohung. Ein wichtiger Bestandteil des Gesamtwerkes sind hier auch
die Bildtitel. Zwar verwende ich bei vielen meiner Arbeiten bewußt mehrdeutige
Titel als Herausforderung für den Betrachter, bei den erzählenden grafischen
Zyklen wählte ich aber Titel, die wie Überschriften zu den einzelnen
Kapiteln des Geschehens erscheinen sollen.
Großen Stellenwert hat für mich der Zyklus "Innenwelt", zu
dem ich auch die Texte schrieb. Beides entstand gleichzeitig, einander
ergänzend und als gleichwertige Bestandteile eines Gesamten. Der Zyklus
erzählt den Rückzug eines Mannes, der nur für sich zu malen begonnen
hatte, aus der Mitwelt, zunächst in seineWohnung und danach buchstäblich
in sich selbst.
In jenen Zyklen, deren Teile verschiedene Aspekte einer Thematik zeigen,
war es mir wichtig, diese gleichsam als typische Ausformungen darzustellen.
Der Zyklus "Bauwerke" zeigt im ersten Bild einen Raum ohne Decke, der
in seinen Wänden große Öffnungen hat. Er bildet "Das sanfte Gefängnis",
welches das einzig vorhandene, dreidimensionale Landschaftsstück umschließt.
Der "Tarnungsversuch" einer monströsen Brückenkonstruktion erinnert
an die Bemühungen, ähnliches zumindest optisch zu mildern. Ein scheinbar
auseinandergehacktes Bauwerk gibt einen weiten Blick frei und zeigt
"Das verborgene Ufer", das nun erst sichtbar wird, möglicherweise auch
nur als Projektion auf die glatte Spaltfläche. Schließlich enthält das
einzige geschlossen erscheinende Bauwerk "Die geschützte Landschaft"
beim näheren Hinsehen Abbildungen von Gräsern und Blättern an seinen
Wänden.
Der
Zyklus "Funktionen" befaßt sich mit den verschiedenen
Aspekten einer geometrischen Funktion und nimmt diese
als Allegorien für das menschliche Leben.
Außer den in diesem kurzen Überblick dargestellten Zyklen gibt es zahlreiche
weitere, von denen ich einige hier nur kurz erwähnen möchte, zum Beispiel
den dreiteiligen Zyklus "Einschnitte" aus dem Jahre 1984, aber auch
den 1985 entstandenen Zyklus "Fels und Gemäuer", der in drei Farbradierungen
Felsformationen und in zwei Radierungen vom Menschen geschaffene Gemäuer
als Transformation dieser Felsen zeigt. Im Jahre 1987 schuf ich für
die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt/Main einen Zyklus mit
dem Titel "Das Zeichen", in dem ich einen signifikanten Teil des Bürogebäudes
in einen Bezug zur Geschichte dieses Bankhauses setzte.
Als Vorzugsausgabe für das Buch "BILDER VOM WESENTLICHEN"
schuf ich im Jahr 2000 sechs Farbradierungen mit dem gemeinsamen Titel
"Gegenstücke". Jeweils zwei davon sind auf einem Blatt gedruckt - gleichsam
als Gegenüberstellung verwandter Sujets - und als eine Grafik zu sehen.
Der obere, großformatigere Teil mit einer Thematik, die man von mir
gewohnt ist, steht jeweils in einer Beziehung zu einem kleineren, unteren
Teil, der sich aus meinen bisherigen gegenstandslosen Werken entwickelte.
Im unteren "abstrakten" Teil verwende ich ausschließlich Farben der
oberen Farbradierung, allerdings neu gewichtet in ihrer Intensität durch
veränderte Ätztiefen an den einzelnen Kupferplatten. Bei diesen Arbeiten
reizte mich die kalkulierte Gegenüberstellung von rationalen und emotionalen
Kompositionsansätzen und deren Verbindung zu einem ausgewogenen Ganzen.
Schließlich fanden auch die schon seit geraumer Zeit von mir nicht mehr
angewandten Techniken wie Zuckertusche, Collophonium-Aquatinta, Pinselätzung
und freie Ätzung wieder ihre Verwendung neben der seit langem praktizierten
Strichätzung und der Aquatinta mit dem Asphaltkorn samt deren Stufenätzungen,
dem Polieren, Schleifen und Gravieren.
In der gleichen Art fertigte ich 2005 und 2006 die ersten vier Grafiken
für den Zyklus "Rechenzeichen", in dem ich
versuchte das Wesen der einzelnen Symbole in sowohl in Bildern mit Lanschaftssujets
als auch in einer abstrakten Bearbeitung umzusetzen. Die Vollendung
des Zyklus erfolgte 2007.
Im Herbst 2008 machte ich für einen Kalender anläßlich
meines bevorstehenden 60. Geburtstages im Jahre
2010 sechs Radierungen mit dem Titel "Zwischenblick", worin
ich meine Landschaftsmotive mit gegenstandslosen Strukturen auf einer
Platte verband. Im Jahr 2010 schuf Peter Bielész dazu sechs Gedichte
für eine Ausgabe in Buchform.
Ergänzter
Auszug aus: "BILDER VOM WESENTLICHEN" erschienen im Österr.Kunst-
u. Kulturverlag Wien, 2000